Aurie und die Träume

Aurie saß unter ihrem Apfelbaum und zupfte nachdenklich einem Gänseblümchen die Blütenblätter aus. Sie hatte nachts von einem Hilferuf der Nachbarin geträumt und sie am Boden liegen sehen. Als sie aufgestanden war, hatte sie der Traum nicht losgelassen. Beim Frühstück hatte sie es dann nicht mehr ausgehalten. Sie hatte die Hand ihrer Großmutter genommen und sie zum Haus der Nachbarin gezerrt. Dort hatten sie die alte Frau tatsächlich auf dem Boden liegend gefunden. Sie war in der Nacht gestürzt und hatte nicht mehr aufstehen können. Nachdem die Frau vom Krankenwagen versorgt worden war, hatte ihr ihre Großmutter eine große Tasse heißen Kakao gemacht und ihr sanft über den Kopf gestreichelt. „Unser Engel.“ hatte sie geflüstert und ihr ihre Stirn geküsst. Jetzt saß Aurie im Garten und dachte darüber nach. Warum hatte sie davon geträumt?

 

„Naja, die Frage ist einfach.“ hörte sie plötzlich Noah sagen und er tauchte hinter dem Apfelbaum auf. Aurie strahlte ihn an.

„Ach ja?“ fragte sie.

„Aurie.“ Noah schüttelte theatralisch den Kopf und setzte sich ihr in einer lehrerhaften Pose gegenüber. Aurie musste schmunzeln.

„Wie ich Dir erklärt habe: je besser Du im Kontakt mit Deinem Schutzengel bist, desto besser kannst Du ihn wahrnehmen und auf ihn reagieren. Und manchmal kannst Du die Hilfe sein, um die jemand gebeten hat.“

„Das habe ich nicht vergessen, Noah. Aber wieso habe ich denn davon geträumt?“ fragte Aurie wieder.

„Engel übermitteln Botschaften auch manchmal in Träumen, weil Ihr Menschen dann empfänglicher dafür seid. Wenn Du mit jemandem verbunden bist, können auch Hilferufe, wie der Deiner Nachbarin, im Traum übertragen werden. Im Traum kehrt ihr Menschen in die Einheit zurück, in der alles mit allem verbunden ist. Die Übung mit Deinem Herzschlag hat Deine Wahrnehmung noch vertieft. Das verändert auch Dein Traumerleben.“ erklärte ihr Noah.

 

Aurie dachte über das nach, was Noah gesagt hatte.

„Kannst Du mir mehr über Träume erzählen?“ bat Aurie. „Warum träumen Menschen?“

Noah lächelte. „Oh, dazu gibt es viel zu erzählen,“ sagte Noah. „Mal überlegen, was heute für Dich nützlich ist.“

Aurie war gespannt.

„Es gibt eine Hüterin der Träume, Aurie. Die Sonnenuntergangsfrau[1]. Sie hütet Deine Vision und Deine Lebensziele. Wenn die Menschen schlafen, gehen sie in Verbindung mit ihrer Seele und ihrer inneren Vision. Nachts haben die Menschen Zugang zum Unterbewusstsein, zu dem tiefen Wissen der Seele, zur Urquelle. Träume sind eine Hilfestellung, sie dienen als Brücke, um dieses Wissen in den Tag zu bringen. Außerdem gibt es Träume, die Dir einfach helfen, die Erlebnisse des Tages zu verarbeiten. Durch Deine Träume ist es Dir möglich in Verbindung mit Deiner inneren geistigen Führung zu kommen, zum Beispiel auch den Engeln, die Dich begleiten, und Informationen zu bekommen, die Dir in Deiner aktuellen Situation weiterhelfen. Das ist Wissen, auf das der Verstand keinen Zugriff hat.

Träume begleiten Übergänge in Deinem Leben. Z. B., wenn sich Dein Bewusstsein durch Deine Erfahrungen weiterentwickelt und Dir andere Dinge wichtig werden und Du beginnst, Dich anders zu verhalten oder eine vertiefte Wahrnehmung entwickelst. So wie jetzt bei Dir, als Du den Hilferuf Deiner Nachbarin im Traum empfangen konntest.“ Noah machte eine kurze Pause und beobachtete, ob Aurie ihm folgen konnte.

„Durch die nächtliche Rückverbindung mit dem göttlichen Licht, der Urquelle, erfahren die Menschen jede Nacht den Schutz der heiligen Mutter. Das löst einen tiefen Frieden in ihnen aus. Das gleiche Empfinden, das ein Kind hat, wenn es nach einer Entdeckungstour in die sicheren Arme seiner Mutter zurückkehrt.“ Noah lächelte sanft.

Aurie hörte gebannt zu.

„Es gibt zwei Teile in jedem, die wie Ying und Yang zusammengehören. Nachts wirkt der weibliche Teil, das Intuitive, hier fließen die Ideen.“ erzählte Noah weiter. „Tags wirkt der männliche Teil, mit dem Willen, die Ideen umzusetzen. Beides ist in Dir vereint. Zwischen dem Abend- und dem Morgenstern entwickelt sich eine heilige Beziehung, ein heiliger Raum, als würden sie miteinander tanzen. Im Traum können die Menschen ihren weiblichen Teil wahrnehmen. Dann ist er verbunden mit der Schöpfung und der Verstand mischt sich nicht ein. Deshalb wirkt der Nachthimmel auch so eine große Magie auf Euch Menschen aus. Beim Anblick der Sterne erinnert ihr Euch an den heiligen Raum in Euch, an die Schöpfungskraft. Im Traum seid ihr ganz damit verbunden.[2]“ Noah faltete die Hände in seinem Schoß und schwieg.

Aurie war voller Staunen. Sie hatte noch nie so bewusst über die Traumwelt und den Sinn des Träumens nachgedacht.

 

„Du hast gesagt, dass Träume eine Brücke sind, um Wissen in den Tag zu bringen, das mir weiterhilft. Ich erinnere mich ja oft nicht an meine Träume oder ich kann das, was ich geträumt habe, nicht zuordnen.“ sagte Aurie. „Gibt es eine Möglichkeit, das zu üben, damit die Brücke zwischen Traum und Tag besser funktioniert?“ wollte Aurie wissen.

„Ja, die gibt es.“ antwortete Noah. „Lade die Hüterin der Träume jeden Morgen und jeden Abend ein, bitte darum, in Verbindung mit ihrer Kraft zu gehen. Vor dem Einschlafen kannst Du bewusst Fragen stellen und darum bitten, eine Antwort zu bekommen.“ erklärte Noah. „Welche Träume hast Du für das Land, die Erde, die nächsten Generationen? Was ist Deine Vision, die Du auf die Erde bringen sollst und willst? Was braucht die Erde heute von Dir? Es geht darum, die tiefste innerste Wahrheit zu leben.2“ Noah schwieg einen Augenblick und die Fragen sanken tief in Aurie ein.

 

„Dabei ist es wichtig, dass Du Dir Zeit lässt, morgens wieder im Tag anzukommen. Die Menschen lassen sich zu schnell im Außen ablenken, weil sie zum Beispiel direkt das Handy in die Hand nehmen. Die zarten Erinnerungen der Nacht verblassen dann sofort und im Wachbewusstsein gibt es keinen Zugang mehr dazu. Das Wissen verschwindet wieder im Unterbewusstsein.“ mahnte Noah eindringlich. „Wenn Du wach bist, lausche und fühle in Dich. Welche Erinnerungen von der Nacht sind in Dir? Welche Gefühle nimmst Du noch in Dir wahr? Manchen Menschen hilft es, diese Dinge in einem Tagebuch aufzuschreiben, damit sie greifbar bleiben und sie weiter damit arbeiten können. Das könntest Du versuchen. Auch nach dem Schreiben, bleibe noch eine Weile still. Schau in die Natur, beobachte, wie der Tag erwacht, prüfe, welche Nahrung Deinem Körper guttut, ob er Bewegung braucht, mache Deine Übungen, die ich Dir gezeigt habe. Dann bist Du gut in Dir verankert, um in Deinen Tag zu gehen. So hast Du eine stabile Brücke zwischen Nacht und Tag, zwischen Unbewusstsein und Bewusstsein geschaffen. Mit der Zeit wirst Du merken, wie die Antworten aus der Nacht in Deinen Tag, in Dein Bewusstsein finden und Dir helfen, Deine Vision auf die Erde zu bringen.“ Noah schwieg und blickte Aurie sanftmütig an.

 

„Genug für heute.“ sagte er nach einer kleinen Pause. „Jetzt übst Du erstmal, mit der Sonnenuntergangsfrau in Kontakt zu kommen. Ich bin gespannt, was Du dadurch erlebst.“ Noah stand auf und tat abermals so, als würde er sich sein Gewand ausklopfen, was Aurie immer zum Lachen brachte.

„Danke, Noah.“ Aurie blickte ihn an. „Ich werde abends, wenn ich mit meiner Großmutter gebetet und mich für den Tag bedankt habe, ganz bewusst die Hüterin der Träume einladen, mich in der Nacht zu begleiten. Ich werde Dir dann berichten, was ich erlebt habe.“

„Davon gehe ich aus.“ hörte sie Noah noch lachend sagen und im nächsten Augenblick war er verschwunden.

Aurie schlenderte langsam zum Haus zurück. Am Abendhimmel begannen die ersten Sterne in der Dämmerung zu blinken und sie konnte aus der Küche schon das Abendessen riechen. Aurie seufzte glücklich. Sie freute sich richtig auf die kommende Nacht.


[1] Sams, J. (2022). Die 13 Original Clan Mütter. 13 Einweihungsschritte in deine höchste Kraft. Die geheimen Lehren heiliger Medizinfrauen. Sunnydays Media House.

[2] Young, T. (2024). Meditation „Das Kind des neuen Morgens“, Kurs The Power of Love 2024/9, Setting Sun Woman., gehört 05.02.25.


© Sara Hiebl

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